Aleppo-Syrien April 2019 mit SOS Kinderdörfer
Endlich konnten sich meine Daumen entspannen als wir die Libanesische Grenze hinter uns Liesen und die lange Passstraße Richtung Damaskus die Berge herunterfuhren. Alle Kontrollen waren problemlos überwunden worden, ich bin endlich in Syrien angekommen. War ich gestern noch voller Sorge und Aufregung, fiel Stück für Stück die Anspannung in mir ab je näher wir Richtung Damaskus fuhren.
Im Office von SOS-Kinderdörfer angekommen gabs endlich eine Kamera für mich und es wurde sich kurz ausgetauscht. SOS kümmert sich zb. auch um Kinder, deren Eltern im Zuge des Krieges verloren gegangen sind und für die es erst Hoffnung gab, dass ihre Eltern womöglich wieder auftauchten könnten. Jetzt nach zwei Jahren muss das Projekt verändert werden, weil die Kinder nicht einfach zur Adoption frei gegeben werden können. Viel muss noch getan werden, die Mühlen mahlen langsam. Viel ist aber auch schon passiert und hat sich zum Positiven verändert. Je mehr ich zuhöre, desto mehr bin ich gespannt die einzelnen Projekte zu sehen, trotzdem bin ich auch zutiefst bestürzt. Damaskus ist an Kontrast nicht zu überbieten. Hijab trifft Smartphone, deutsche SUVs neben Kindern die Taschentücher verkaufen, Müll und Staub treffen auf Sonnenbrillenmassenauswahl, 1001 Nacht Basarfeeling auf Großstadtverkehrschaos, top gestylte Frauen neben Militärcheckpoints. Alles wirkt auf mich sehr beschäftigt. Die Stadt scheint sich selbst irgendwie über beschäftigen zu wollen.
Die Fahrt am nächsten Morgen beginnt mit bedrückenden Bildern einer Mondlandschaft am Rand von Damaskus. Die lange Fahrt nach Aleppo wirkt unwirklich. Alles voller bunter Blumen. Moon, gelber Raps, Liliane Blüten, kilometerlang. Dazwischen zerbombte Häuser. Wie in unglaublichen Geschichten fügen sich die Trümmer in das bunte Blumenmeer ein. Es gibt hier viele Schmetterlinge die das ganze surreal wirken lassen. Schönheit und Tragödie, so nah habe ich es noch nie gesehen. Der Krieg ist voller Gegensätze. Die Menschen tun sich gegenseitig unfassbares Leid an, Rücken an anderer Stelle aber dichter zusammen. Die Natur blüht, die Schmetterlinge fliegen mit Leichtigkeit über die Überreste der vielen Häuser.
Das Ausmaß der Zerstörung ist in Aleppo nicht zu ertragen. Nie im Leben hätte ich mir die Größenordnung so vorgestellt. 1 Mio Menschen sind hier gestorben. Eine Million, eine Million. Mir fehlen die Worte um das alles hier zu beschreiben. Ich höre den SOS Mitarbeiter erzählen, dass er die Stadt nicht verlassen hat während der Bombenangriffe. Wie der 5. seiner 8 Freunde starb und er anfing nicht mehr zu trauern. Wie er hungerte und im Gefängnis landete als er eine Melone schmuggelte. Er nicht gehen wollte weil er auf seine Mutter aufpassen wollte.
Tag 2 in Aleppo. Ich bin überfordert. So viel Zerstörung, Trümmer überall. Und in jedem zerstörten Haus wohnt der traurige Geist des Schicksals einer jeden Familie. Verschwundene Väter, verletzte Kinder, Angst, tote Brüder, verschleppte Schwestern, trauernde Mütter, gefallene Väter. Ich versuche mir vorzustellen wer in den Häusern gewohnt hat und wohin sie gegangen sind und schaffe es keine 10 Minuten.
Wie kleine Gänseblümchen wächst aber die Hoffnung die SOS mit ihren Projekten gibt. Besonnen reckt sich die Blume der Sonne entgegen So haben wir heute eine Schule besucht die SOS wieder aufgebaut hat. Drumherum nur Trümmer. Wie schön es war die Kinder lachen und spielen zu sehen. Oder auch die Familien, die mit Hilfe von SOS ein besseres Leben führen. Deren Kinder später auch gern eine Hilfsorganisation gründen möchten weil ihnen so gut geholfen wurde.
Es sind winzige kleine Blumen, inmitten der Weite von Trümmern und Zerstörung.