Kinderhilfe in Rumänien
SOS-Kinderdörfer Sri Lanka Fotoreportagen und Interviews
Was weiß ich über Rumänien und Transsilvanien? Das erste was mir einfällt ist, dass Dracula aus Transsilvanien kommt und ich hier in jungen Jahren eigentlich unbedingt hinwollte. Selbstverständlich um Draculas Gefährtin zu werden. Und heimlich grinsend habe ich mir das auch beim Abflug am Wochenende vorgestellt, sicherlich bemerkt Dracula mein fortgeschrittenes Alter nicht, immerhin sind ja auch für ihn ein paar Jahre vergangen
Ich bin auch wahrlich verzaubert hier. Die Natur ist wirklich umwerfend. Der Herbst hat alles in ein leuchtendes Gelb getaucht. Alles scheint wie in einem alt eingefärbten Fernsehfilm. Nicht die moderne Stadt Sibui, aber sobald ich mit der Kinderhilfe Siebenbürgen aufs Land fahre sitze ich in einer Zeitmaschine. Romas kommen mit Kutschen entgegen, die meisten Häuser stammen aus einer anderen Zeit. In der Ferne sieht man die Berge. Die Kinderhilfe unterstützt vorwiegend Roma Familien die hier in Armut leben. Familien, die ihre Kinder in die Schule oder den Kindergarten schicken werden unterstützt. Mit Lebensmitteln, Baumaterialien für Häuser, Waschmaschinen, Öfen, Herden, Arztbesuchen, bei der Jobsuche, Organisation und Sozialer Unterstützung aller Art. Dazu gibt es zwei Kinderhäuser, ein Mutter- Kind Haus und After School Programme. Diese Organisation ist ein kleines Wunderwerk. Auf eine unkomplizierte und unkonventionelle Art wird hier Unglaubliches geleistet. Heute fuhren wir ein ehemaliges Straßenkind in die Berufsschule, verteilen Kleiderspenden, Geburtstagskuchen für Kinder, kaufen Geburtstagsgeschenke und finden gleich weitere neue Familien die in absoluter Armut leben deren Daten wir aufnehmen um ihnen helfen zu können. Es ist toll zu sehen wie unkompliziert und schnell hier reagiert wird. Dennoch ist die vorhandene Armut schwer zu ertragen. Winzige Räume für Familien ohne Strom und Wasser, kein Zugang zu Bildung und Gesundheitszustand, Krankheiten. So leben die Ärmsten hier in Europa. Gestern haben wir eine Roma Siedlung besucht in der die Organisation für alle Familien neben deren alten Lehm/Holzhütten echte Massivhäuser errichtet. Damit die Kinder nicht im Kalten und Nassen leben müssen. Wir kontrollieren die Bauarbeiten und wir sprechen mit den Familien. Dabei springt bei mir ein Funken während Jenny, die Leiterin der Organisation mir Infos über das Dorf gibt. Warum den Menschen gleich richtige Häuser bauen mit Fernsehen und Ofen usw. und keine Blechhütten? Warum spricht man den betroffenen Menschen das Recht ab so zu wohnen wie wir sagt sie während wir durch den Matsch stiefeln. Warum sollen sie kein Smartphone haben sollen? Warum kein normales Haus ohne Schimmel und mit Fernseher? In meinem Kopf rasen Gedanken. Hatte ich nicht in meinem Buch auf dem Hinflug etwas von Pseudo Solidarität gelesen auch in Deutschland? Dass wir in Deutschland den Harz4lern vorwerfen sich „nur“ mal anstrengen zu müssen. Dass wir Pseudo-Solidarität für Arme in fernen Ländern haben die abrupt endet wenn sich die Menschen auf den Weg zu uns machen. Und dass wir die Ärmsten unserer Gesellschaft wie Alleinerziehende, Rentner und Obdachlose gern unterstützen bis zu dem Moment wo sie uns etwas wegnehmen könnten. Ich denke an das nette Interview bei Jung und Naiv mit Andreas Kemper, in dem es darum geht, dass Akademikereltern fest an der getrennten Schulform festhalten. Womöglich, damit ihre Kinder privilegierter bleiben. Das Resultat ist, dass Chancengleichheit nicht eintreten kann. In dem Moment habe ich mich ganz unangenehm ertappt gefühlt. Nicht dass ich das Gymnasium und die Hauptschule befürworte, nein, weil auch ich den Wunsch habe, dass es meine Kinder besser haben. Aber besser als wer? Als ich und Hosen runter: auch irgendwie als Andere. Uff was rattert es…. Jenny erzählt im Auto vom Freitag im Kaufland. Alle zwei Wochen dürfen die Familien hier für einen Betrag kaufen was sie brauchen. Einigen Rumänen passt das nicht. Sie können es nicht haben, dass andere etwas geschenkt bekommen. Auch werden Petitionen von Eltern gestartet, wenn Jenny darum kämpft, dass Roma Kinder in den Kindergarten können. Letzteres könnte ich mir trauriger Weise auch in Deutschland vorstellen. Das Wort „gönnen“ gibt es im rumänischen nicht. Und ich frage mich ehrlich gesagt auch, ob wir die Bedeutung in Deutschland wirklich anwenden.
Flughafen Sibiu, es ist Freitag abend und ich bin erschöpft. Auf den Ohren läuft eine 70er Playliste, ich merke wie ich bereits anfange loszulassen. Wie bei jeder meiner Reisen war der Auslöser etwas tun zu wollen. Und wie immer war ich gut vorbereitet, habe die Berichte der Kinderhilfe regelmäßig gelesen und dachte: ich weiß was mich erwartet. Aber wieder einmal ist es so viel tragischer als ich es mir vorstellen konnte und größer als ich es vermutet hatte. Gestern morgen sind wir durch eine Siedlung gegangen und ich hatte das erste Mal das Gefühl mich übergeben zu müssen. Jenny, die Leiterin der Kinderhilfe hatte mir von Fällen berichtet, deren Grausamkeit ins unvorstellbare geht. Eine nackte Brutalität und Gewaltsamkeit die man kaum ertragen kann. Und das Ganze sind leider keine Einzelfälle. Jeder Fall übertrifft meine Vorstellungskraft an Abscheulichkeit. Mein Magen zog sich zusammen während wir zwischen Müll und Matsch Familien besuchten. Mit 14 verheiratet, Geburt hinterm Bahnhof im Dreck, Sanitäter die Neugeborene auf die Erde schmeißen um den Romas nicht noch weitere Kinder zu geben. Kranke Kinder, unterernährte Kinder, Menschen die Hunger haben, sooo viele Weisenkinder, stümperhafte Abtreibungen, fehlender Zugang zum Gesundheitssystem. Gewalt gegen Frauen, Totgeburten durch Gewalt, kein Schulplatz, kein Auto, keine Arbeit, Ausgrenzung von allen Seiten. Beim betteln getreten und von den Behörden im Wald weit entfernt ausgesetzt. Kranke und Behinderte systematisch verhungern lassen, Gewalt in Einrichtungen, von der ganzen Welt abgelehnt. Mütter die ihre Kinder zurücklasen, unfähig sie zu lieben oder sie zu versorgen. Menschen die seit Generationen in dieser Lage sind bekommen Kinder unter gleichen Bedingen. Europa glänzt in Fortschritt und an Menschenrechten, nur die Romas hier leben anscheinend auf einem anderen Planeten mitten in der Eu und weder Gesellschaft noch Politik hat das Interesse an deren Lage etwas zu ändern. Zwischen all dem Elend ist die Kinderhilfe ein echter Lichtblick. Hausbauprojekte, alle zwei Wochen geht’s für 80 Euro für alle Familien (über 185 Stück!) zum Kaufland einkaufen. Kinder die zur Schule gehen, Romas die Waisenkinder aufnehmen und versorgen. Aus armen Kinder werden Azubis und Studierende, Männer mit Festanstellung. Arztbesuche, erfolgreiche Behandlungen, Trost, Liebe und Herzlichkeit. Mütter die ihren Töchtern ein eigenes Haus bauen um sie nicht verheiraten zu müssen. Empfängnisverhütung, Kinderschutz und lautes Lachen. Die Sozialarbeiter der Kinderhilfe haben die emotionale Fähigkeit die richtige Sprache der Romas zu sprechen. Hier werden kleine Schritte gemacht. Auch wenn es ein großer Schritt ist, dass 185 Familien alle ihre Kinder diese Woche in die Schule geschickt haben. Wir, der Westen sind die erste Welt. Wir können nicht sagen irgendwann wird sich deren Lage vielleicht bessern. Glauben wir ernsthaft, dass die Kinder dann nochmal eine Kindheit haben? Wir sind Meister im Aufschieben, aber hier und jetzt muss was passieren. Jetzt und Heute gilt es anzupacken. Man kann Geld nicht horten um irgendwann genügend übrig zu haben um…., ja um was? Wann haben wir genügend Zeit um davon etwas abzugeben? Wird es diesen Tag jemals geben? Es ist eine der größten Erfahrungen Menschen zu treffen die im Jetzt und Hier die Ärmel hochkrämpeln und anpacken. Wie hier die Sozialarbeiter der Kinderhilfe.
Kinderhilfe Siebenbürgen
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