Lesbos, Bilder und Erlebnisse als Volunteer
Reise nach Lesbos- wer, wenn nicht ich?
Im Januar 2016 verschlug es mich als Volunteer nach Lesbos. Wie es dazu gekommen ist und was ich erlebte möchte ich erzählen.
Ich bin extrem bodenständig, liebe es zuhause zu sein und bin ganz und gar kein Abendteurer. Im Englischunterricht habe ich geträumt, ich habe weder medizinische Fortbildungen belegt, noch kann ich irgendwelche anderen Sprachen als hessisch oder bin gar Rettungsschwimmer. Was ich allerdings habe ist ein recht ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit. Dieser hat in diesem Jahr mein Leben verändert.
Letzten Sommer sah ich ein Video über die Situation in Lesbos und war geschockt. Seitdem lies mich das Thema nicht mehr los. Als der tote Junge an der türkischen Küste angespült wurde, war ich eine der wenigen in meinem Bekanntenkreis die nicht überrascht war, da ich bereits von vielen anderen Tragödien dort gelesen hatte. Ich wusste, dass sein Tod kein Einzelschicksal war, dass die große Ungerechtigkeit dort alltäglich ist.
Als ich Ende letzten Jahres dann einen Artikel einer deutschen Frau las, die in Lesbos als freiwilliger Helfer unterwegs war, packte mich der Mut und ich schrieb sie spontan einfach an. „Sag mal wie geht das mit dem Helfen da unten? Kann man da einfach hinfahren und los geht’s?“ Ich hatte keinen Plan! Sie empfahl mir mich einer Organisation anzuschließen und einfach runter zu fliegen. Ganz einfach.
Ich hatte aber Angst. Angst mich nicht verständigen zu können, Angst nicht die richtigen Fähigkeiten für die benötigte Hilfe zu besitzen, Angst vor Neuem, Angst vor Fremdem, Angst unbeholfen zu sein wenn ich in eine Extremsituation gerate.
Am Neujahrsabend lag ich lange wach. Ich wusste, wenn ich etwas tun kann, dann nur jetzt. Wer wenn nicht ich! Wenn ich irgendwann mal 80 Jahre alt bin und auf mein Leben zurück schaue: würde ich bitter bereuen, dass ich am Ende meinen Gefühle ignoriert hatte nur weil ich ein Angsthase bin.
Wir buchten mitten in der Nacht einen Flug nach Lesbos und kontaktierten I AM YOU. Zwei Tage später saß ich in Athen und traf mein Team bevor es weiter ging nach Lesbos.
7 Nächte arbeitete ich im Camp Moria, 7 Tage patrouillierte ich tagsüber am Strand. Sprach mit Händen und Füßen, lernte Helfer aus Kanada, USA, Schweden, Spanien und Dänemark kennen. Optiker, Krankenschwestern, Rentner, Mütter, Entertainer, Produzenten, Lehrer, Künstler. Menschen aller Schichten, jeden Alters arbeiteten mit mir Hand in Hand um die Situation dort unten einigermaßen erträglich zu machen.
Meine Aufgaben bestanden tagsüber am Strand die Flüchtlinge schnell aus dem Wasser zu bekommen. Völlig durchnässt und unterkühlt Rettungsdecken um die Füße zu machen, Wasser zu verteilen, Menschen warm zu rubbeln, und vor allem Menschen zu trösten.
Über die Hälfte aller Ankömmlinge sind traumatisiert, Kinder unter Drogen, Todesangst in ihren Augen. Männer, Frauen, Kinder weinen, brechen zusammen wenn sie den Boden betreten.
Im Camp Moria versuchte ich nachts Ankömmlingen irgendwie trockene Kleidung zu organisieren, sie wenn Platz in den Familienunterkünften unter zu bringen, kontrollieren ob schlafende Kinder die draußen liegen erfrieren und für sie weitere Kleidung zu bringen, wenn mal Zeit war Babyflaschen zu kochen, oder Windeln zu verteilen, Kleidung zu sortieren.
Nach den ersten 3 Booten die ich miterlebte brach ich in Tränen aus. Ich hatte mich innerlich auf das Schlimmste vorbereitet. Es im 15 Minuten Tackt zu erleben war zu viel. Ich stand am Wasser, schüttelte die ganze Zeit den Kopf und fand keine Worte. Eine Helferin kam zu mir. Sie schaute mit mir raus aufs Meer und fragte ob es meine ersten Boote gewesen wären. Ich sagte ja und sie nickte vielsagend und schwieg lange neben mir bis das nächste Boot kam.
Als die nächsten Boote ankamen war ich wieder klar und konnte helfen wo immer ich gebraucht wurde. Auch im Camp war ich einfach viel zu beschäftigt um überhaupt zu überlegen was das alles mit mir macht.
Ich bin jetzt 3 Wochen zuhause. Es fühlt sich so an als sei ein Teil von mir immer noch in Lesbos geblieben. Ich wusste innerlich, dass ich ein anderer Mensch bin wenn ich wieder nach Hause komme und bin dankbar, dass ich über meinen Schatten gesprungen bin. Ich denke an die vielen Kinder, die ich im Arm hatte. Die Mamas die ich gehalten und deren Tränen ich getrocknet habe, die dankbaren Gesichter nach Babyflaschen, Luftballons oder wenn sie von mir Handschuhe bekommen haben.
Das Gefühl das erste Mal im Leben etwas wirklich Wichtiges und Richtiges getan zu haben.
Das an manchen Tagen im Januar über 40! Flüchtlinge ertrinken, darunter viele Kinder macht mich unendlich wütend und traurig. Es fühlt sich an als sei einer der Menschen gestorben denen ich aus dem Wasser geholfen habe. Der Friedhof in Lesbos ist überfüllt, da die Leichenhalle überquillt liegen die Toten in Containern. Schlepper verkaufen falsche Rettungswesten die sich mit Wasser vollsaugen, Boote sind überladen und absolut Fahruntüchtig. Die Menschen gehen dort durch die Hölle und das mitten in Europa. Sind dort keine freiwilligen Helfer wie ich, gibt es keine Rettungsdecken für Kinder, kein Wasser, keiner der aus dem Meer hilft. Alles wird von Freiwilligen organisiert. Es ist auf der einen Seite großartig was die Helfer dort leisten, auf der Anderen Seite unendlich traurig, dass die Politik hier auf ganzer Linie versagt und trotz der helfenden Hände so viele Menschen sterben obwohl sie so einfach gerettet werden könnten.
Ich fahre im Herbst wieder nach Lesbos weil Helfen so einfach ist und man am Ende doch viel mehr zurück bekommt als man überhaupt geben kann.
Mit meinen mitgebrachten Bildern plane ich derzeit Ausstellungen und Vorträge. Ich hoffe dass ich bis Oktober von hier aus noch etwas bewegen kann.
Fotoausstellungen mit Bildern aus Lesbos
22.2.-31.3. Haus der Familie in Katzenelnbogen
10.3.-19.4. Kreml Kulturhaus Zollhaus
07.03.- ev Gemeindehaus Diez
22.2.-30.4. Rosenstrasse Diez
11.4.-23.05. Kreissparkasse Limburg
20.4.-27.05. Kreishaus Bad Ems
13.6.-06.07. Westerwaldbank Hachenburg
27.6.-17.7. ARS Berufsbildene Schule